Psilocybin als Antidepressivum: Was es kann

Wer mit Depressionen lebt, kennt die tägliche Pille. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) können Symptome abflachen, oft nach unten regulierend, manchmal mit emotionaler Abflachung. Für manche hilft das, für andere bleibt es ein stumpfes Dämpfen. Aber die eigentliche Frage bleibt: Warum ist ein Mensch depressiv – Trauma, unverarbeitete Biografie, zermürbende Lebensumstände, chronischer Stress? Wenn das System ständig Alarm schlägt, ist Niedergeschlagenheit oft keine „Störung“, sondern eine logische Reaktion. Genau hier setzt Psilocybin anders an: Es ist keine tägliche Dauermedikation, sondern eine erfahrungsbasierte, zeitlich begrenzte Intervention, die ein Fenster für tiefe psychologische Arbeit öffnet – und diese Arbeit verlangt.

Was die klinischen Daten wirklich sagen

2016 startete in London eine der ersten wichtigen Studien zu Psilocybin bei therapieresistenter Depression. Geleitet wurde sie von dem Forscher Robin Carhart-Harris. Mitgemacht haben 12 Personen, bei denen herkömmliche Antidepressiva nicht gewirkt hatten. Sie bekamen zwei Sitzungen mit Psilocybin – erst eine niedrigere Dosis (10 mg) und eine Woche später eine höhere (25 mg). Jede Sitzung fand in einem geschützten Rahmen statt und wurde von psychologischer Begleitung unterstützt.Das Ergebnis: Schon nach einer Woche fühlten sich viele deutlich besser, und auch nach drei Monaten hielten die Verbesserungen bei einem Teil der Teilnehmenden noch an. Es traten keine ernsthaften akuten Nebenwirkungen auf.Wichtig ist aber: Die Studie hatte keine Vergleichsgruppe (Placebo oder anderes Medikament), und mit 12 Teilnehmenden war sie sehr klein. Sie zeigt also nicht, dass Psilocybin „immer“ oder „bei allen“ wirkt, aber sie war ein erster, vielversprechender Hinweis mit Grenzen.

2017/2018 wurde die erste kleine Studie noch einmal erweitert und die Teilnehmenden bis zu sechs Monate lang begleitet. Nach fünf Wochen ging es knapp der Hälfte deutlich besser, bei einigen waren die Symptome komplett verschwunden. Die positiven Effekte hielten im Durchschnitt an, wurden aber im Laufe der Monate schwächer. Die Studie war zwar ein wichtiger Durchbruch, aber ohne Vergleichsgruppe – deshalb kann man daraus nicht ableiten, dass „zwei Sitzungen Depressionen fast immer heilen“.

2021 folgte der erste direkte Vergleich mit einem gängigen Antidepressivum (Escitalopram). Die Teilnehmenden bekamen entweder zwei Psilocybin-Sitzungen oder sechs Wochen das Medikament, jeweils mit psychologischer Unterstützung. Beim Hauptmesswert gab es nach sechs Wochen keinen klaren Unterschied. In einigen anderen Bereichen schnitt Psilocybin besser ab, zum Beispiel waren 57 % der Psilocybin-Gruppe in Remission gegenüber 28 % in der Medikamenten-Gruppe. Das Ergebnis ist vielversprechend, aber kein eindeutiger Sieg über herkömmliche Antidepressiva.

2022 wurde die bisher größte Studie zu Psilocybin bei therapieresistenter Depression veröffentlicht. Dabei bekamen die Teilnehmenden entweder eine hohe Dosis (25 mg), eine mittlere Dosis (10 mg) oder eine sehr niedrige Dosis (1 mg) – begleitet von professioneller psychologischer Unterstützung.Ergebnis: Die hohe Dosis wirkte nach drei Wochen deutlich besser als die Mini-Dosis. Die mittlere Dosis lag irgendwo dazwischen und brachte keinen klaren Vorteil. Die häufigsten Nebenwirkungen waren Kopfschmerzen und Übelkeit. In allen Gruppen gab es vereinzelt schwierige Momente wie verstärkte Suizidgedanken – ein Hinweis, dass diese Therapie nur unter enger Betreuung stattfinden sollte. 2025 folgte eine Beobachtung über ein ganzes Jahr: Die Gruppe mit 25 mg schien von der Wirkung länger zu profitieren als die beiden niedrigeren Dosierungen. Die Forschenden betonten aber, dass noch größere und langfristigere Studien nötig sind, um diese Ergebnisse wirklich zu bestätigen.

Auch außerhalb von therapieresistenter Depression gibt es Hinweise auf eine starke Wirkung:

Eine Johns-Hopkins-Studie von 2021 bei Menschen mit „normaler“ Depression zeigte, dass zwei Psilocybin-Sitzungen unter psychologischer Begleitung zu schnellen Verbesserungen führten, nach vier Wochen waren 71 % der Teilnehmenden deutlich gebessert und 54 % komplett symptomfrei. Allerdings nahmen hier keine Personen gleichzeitig Antidepressiva, was das Ergebnis beeinflussen kann.

Die Summe: Psilocybin kann stark und rasch wirken, aber es ist kein Zauberstab. Effekte sind oft ausgeprägt, nicht bei allen anhaltend, und sie entstehen im Zusammenspiel aus Substanz und psychotherapeutischem Prozess.

Warum Psilocybin anders arbeitet als eine tägliche Pille

Normale Antidepressiva wirken so, dass sie Botenstoffe wie Serotonin im Gehirn über längere Zeit etwas anheben oder länger verfügbar machen. Man nimmt sie täglich, oft über Monate oder Jahre, und sie stabilisieren die Stimmung eher in einem engeren Bereich, manchmal hilft das, manchmal fühlt man sich dadurch aber auch „abgeflacht“.

Psilocybin funktioniert völlig anders. Der Wirkstoff bindet vor allem an bestimmte Rezeptoren im Gehirn, die 5-HT2A-Rezeptoren. Das löst nicht einfach nur ein „Serotonin-Plus“ aus, sondern versetzt das Gehirn für einige Stunden in einen sehr flexiblen, „aufgelockerten“ Zustand. Wissenschaftler nennen das REBUS-Modell („Relaxed Beliefs Under Psychedelics“):

Starke, oft unbewusste Annahmen und Denkmuster – zum Beispiel negative Überzeugungen über sich selbst – lockern sich. Informationen aus tieferen Hirnregionen (z. B. Erinnerungen und Gefühle) können leichter nach oben kommen. Dadurch lassen sich festgefahrene Sichtweisen aufbrechen und neu bewerten.

Was im Gehirn passiert:

Bildgebende Verfahren wie fMRT zeigen, dass während einer Psilocybin-Sitzung die üblichen „Schaltkreise“ im Gehirn weniger starr zusammenarbeiten. Netzwerke, die sonst eher isoliert sind, verknüpfen sich plötzlich miteinander. Diese Phase der Neuordnung hält nicht ewig, aber oft lange genug, um neue Denkmuster zu verankern, vor allem, wenn danach gezielt daran gearbeitet wird. Studien deuten außerdem darauf hin, dass Psilocybin schnell neue Verbindungen zwischen Nervenzellen fördert (synaptische Plastizität). Warum die Erfahrung selbst Teil der Wirkung ist: Bei Psilocybin ist nicht nur der chemische Effekt entscheidend, sondern auch die Erfahrung während der Sitzung. In einem geschützten, begleiteten Rahmen können tiefsitzende Erinnerungen, Emotionen oder Einsichten auftauchen. Die anschließende Integration, also das bewusste Verarbeiten und Umsetzen dieser Erfahrungen, ist ein zentraler Teil des Therapieerfolgs. Ohne diese Nacharbeit kann die Wirkung schneller verpuffen, mit Integration können sich dauerhafte Veränderungen einstellen.

Kurz gesagt:

Während klassische Antidepressiva die Stimmung oft nur regulieren, kann Psilocybin für kurze Zeit das „mentale Betriebssystem“ lockern und neu organisieren – was die Chance bietet, an den eigentlichen Ursachen einer Depression zu arbeiten, anstatt nur die Symptome zu dämpfen.

Deutschland, August 2025: Was ist legal möglich?

Neu und wichtig: In Deutschland gibt es seit 31. Juli 2025 ein Compassionate-Use-Programm für Psilocybin bei therapieresistenter Depression. Es läuft streng reguliert, mit Einzelfallzulassungen, aktuell an zwei Zentren (u. a. ZI Mannheim, OVID Clinic Berlin).

Das ändert nicht den BtMG-Status (Psilocybin bleibt im Regelfall nicht verkehrsfähig), schafft aber einen legalen, eng umgrenzten Pfad für ausgewählte Patient:innen. Prüfkriterium ist TRD und die Eignung für das strukturierte Setting.

Was heißt das therapeutisch?

Psilocybin ist kein Ersatz für die Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben. Es kann einen Beschleuniger liefern: neurobiologisch (Plastizität, Netzwerk-Flexibilisierung), phänomenologisch (Durcharbeiten, Einsicht) und existenziell (Neuausrichtung).

Das funktioniert am besten, wenn die Arbeit bewusst integriert wird: klare Intention, geschützter Rahmen, professionelle Begleitung, konkrete Änderungen im Alltag danach. Dann ist es mehr als ein Trip:

Es wird zum Wendepunkt.

Quellen (Auswahl)– Carhart-Harris et al. 2016, Lancet Psychiatry: offenes TRD-Feasibility-Trial (2 Sitzungen). Deutliche Verbesserungen, keine ernsthaften Akutereignisse, aber ohne Kontrollarm. – Carhart-Harris et al. 2018, Psychopharmacology: 6-Monats-Follow-up mit Response-/Remissionsraten und anhaltenden, aber abnehmenden Effekten. – Carhart-Harris et al. 2021, NEJM: Psilocybin vs. Escitalopram; primärer Endpunkt nicht signifikant, mehrere Sekundärmaße pro Psilocybin. – Goodwin et al. 2022, NEJM (COMP360, TRD): 25 mg > 1 mg bei 3 Wochen; Sicherheitsprofil inkl. Suizidalität verlangt Wachsamkeit; Dauerhaftigkeit begrenzt. – Goodwin et al. 2025, 52-Wochen-Follow-up: Hinweis auf längere Erhaltung im 25-mg-Arm; Bedarf an größeren Langzeitstudien. – Davis et al. 2021, JAMA Psychiatry (MDD): zwei Sitzungen, schnelle Effekte; 71 % Responder/54 % Remission bei Woche 4 in der Immediate-Gruppe. – Carhart-Harris & Friston 2019, REBUS-Modell: Lockerung rigider Priors, neues Gleichgewicht. – Siegel et al. 2024, Nature: starke, breitflächige FC-Verschiebungen, Längsschnitt-fMRT. – Grieco et al. 2022 (Übersicht): Hinweise auf schnelle synaptische Plastizität unter 5-HT2A-Agonisten. – BfArM/ZI Mannheim 2025: Compassionate-Use-Programm Psilocybin (TRD) – Struktur und Rahmen in Deutschland.

Cle
https://kambo-vechta.de

Leave a Reply