LSD in der Schweiz – Von Hofmanns Labor zur modernen Therapie
Basel, 1938. Ein junger Chemiker synthetisiert eine neue Verbindung – halb aus Neugier, halb im Auftrag. Niemand ahnt, dass er damit den Grundstein legt für eine der einflussreichsten Substanzen des 20. Jahrhunderts: LSD.
Was als Laborfund beginnt, entwickelt sich zu einer bewegenden Reise durch Forschung, Therapie, Verbot, Underground, Wiederentdeckung – und erstaunlicherweise bleibt ein kleines Land im Zentrum all dessen: die Schweiz.
Warum eigentlich? Warum stammt LSD ausgerechnet von dort – und warum sind bis heute so viele der bekanntesten Psychedelika-Therapeuten Schweizer?
Diese Fragen führen uns zu einer Geschichte über Forscherdrang, kulturelle Offenheit und das beharrliche Wirken einzelner Menschen gegen alle Widerstände.
Der Anfang – Hofmanns Fahrrad und das Sorgenkind
Die Geburtsstunde von LSD war der 16. April 1943, der später als Bicycle Day in die Geschichte eingehen sollte. Albert Hofmann, Chemiker bei Sandoz in Basel, hatte bereits fünf Jahre zuvor eine Verbindung namens Lysergsäurediethylamid-25 (LSD-25) synthetisiert. Doch erst an diesem Tag, als er versehentlich mit kleinsten Mengen in Kontakt kam, erkannte er das gewaltige psychotrope Potenzial der Substanz.
Was folgte, war eine Erkundung des menschlichen Bewusstseins, wie sie die Welt noch nie gesehen hatte – und Hofmann wurde ihr Chronist und Kritiker zugleich.
Er beschrieb LSD später als „Medikament für die Seele“, betonte aber auch die Notwendigkeit spiritueller Reife und verantwortungsvollen Umgangs. In seinem Buch LSD – Mein Sorgenkind (1979) zeichnete er ein differenziertes Bild: eine Substanz mit großem Potenzial, aber auch mit ebenso großem Risiko.
Dass LSD in der Schweiz entdeckt wurde, mag noch als Zufall erscheinen – schließlich war Basel ein Pharma-Hotspot mit Weltruf. Doch was danach geschah, ist weit mehr als nur historischer Zufall.
Während in vielen Ländern in den 70ern und 80ern ein vollständiges Forschungsverbot für Psychedelika durchgesetzt wurde, blieb die Schweiz ein Ort der Nischenräume und Sondergenehmigungen.
- Die Schweizer Heilmittelbehörde (Swissmedic) zeigte sich in Einzelfällen offener als z. B. das deutsche BfArM.
- Es entstand der Schweizerische Ärzteverein für Psycholytische Therapie (SÄPT) – ein Zusammenschluss mutiger Therapeut:innen, die unter strengem Rahmen LSD, MDMA oder Psilocybin in Einzelfalltherapien einsetzten.
- Die kulturelle Grundhaltung in der Schweiz – weniger ideologisch, weniger von repressiver Drogenpolitik getrieben – ließ psychedelische Therapieformen nie ganz verschwinden.
Die Schweiz wurde so etwas wie ein psychedelischer Zufluchtsort: ein „Safe Haven“ für die Bewusstseinsforschung.
Die Gegenwart – Forschung, Verantwortung, Zukunft
Heute erlebt LSD weltweit eine Renaissance in der Wissenschaft – von der PTSD-Therapie bis zur Angstlinderung in der Palliativmedizin.
Und wieder ist die Schweiz vorne mit dabei:
- Die Universität Zürich und andere Institute führen neue Studien mit Psilocybin und LSD durch.
- Therapeut:innen wie Gasser und Oehen setzen die Arbeit fort – legal, unter Auflagen, aber mit klarer Haltung.
Deutschland hinkt hier noch hinterher. Zwar gibt es auch hier erste Studien (z. B. an der Charité), aber der Zugang ist deutlich restriktiver. Die Schweiz bleibt Pionierland, weil sie…
- historisch die Heimat des LSD ist,
- nie ganz den Faden verloren hat,
- den Mut hat, Pionier:innen wie Gasser den Raum zu geben.
Die Schweizer LSD-Pioniere
- Albert Hofmann (1906–2008)
– Erfinder von LSD, spiritueller Mahner, Autor und Visionär mit lebenslanger Haltung für verantwortungsvolle Anwendung. - **Peter Gasser (geb. 1960)**
– Präsident des SÄPT seit 1997. Führte 2008 die erste legale LSD-Therapiestudie seit Jahrzehnten durch – mit terminal kranken Patienten, Angsttrauma und Yoga als Integration.
– Betont: „LSD ist kein Wundermittel. Aber es kann ein Katalysator sein – wenn die therapeutische Beziehung stimmt.“ – ein zentraler Leitsatz in der aktuellen Praxis. maps.org+5maps.org+5MDPI+5MDPIBioMed Central+7MindMed+7Psychedelic Alpha+7 - Peter Baumann (1935–2019)
– Therapeut der ersten Stunde: behandelte bereits in den 80ern im Untergrund und später via SÄPT schwere psychische Leiden durch LSD – als “Reinigung der Seele”. - Peter Oehen (geb. 1950)
– Same SÄPT – führte 2007/08 frühe MDMA-Studien bei PTBS durch. Gesundheitseinrichtung HUG heute regelmäßig mit LSD- und MDMA-Einzelfällen. maps.org - Markus Hässler (geb. ca. 1964)
– Sehr erfahren, aber selten öffentlich – verbindet LSD, Ketamin und andere Substanzen in Therapie, zitierte Hamlet: „LSD ist ein Wahrheitsserum für das Unbewusste.“
Forschungs-Highlights 2023–2025
a) LSD‑Assist-Studie (50‑ & 102‑Wochen-Nachbefragung)
- Zeigte 32 % bis 33 % Remission in Angstskalen (STAI-G) – Effekte innerhalb 2 Wochen, langanhaltend nach einem Jahr. ClinicalTrials+3Business Wire+3MDPI+3
b) LSD und Angststörungen (MindMed & Uni Basel)
- Kooperation mit Dr. Liechti Lab + MindMed: Phase‑2-, seit Dec 2024 Phase‑3‑Studie MM120 für generalisierte Angststörung (FDA-Breakthrough‑Designation März 2024, Phase‑3 Start H2 2025). Psychedelic Alpha+2Wikipedia+2Wikipedia+2
c) Low‑Dose/ Microdosing‑Studien (ADHD, 2021–2023)
- Doppelblind‑Studie (Basel + Maastricht): 20 µg LSD 2× wöchentlich → sicher, aber kein klinischer Vorteil ggü. Placebo bei Adult ADHD. PubMed+1PMC+1
d) Neurobiologische Reviews (2025)
- MDPI‑Review verdeutlicht langfristige Effekte zur Neuroplastizität – starke Hinweise auf Mechanismen im emotionalen Lernen. Wikipedia
e) Psychedelische Nebenwirkungs-Skala (SPSI)
- Schweizer Validierung 2024: erfasst 32 Nebenwirkungen durch psychedelische Sitzungen – wichtig für Sicherheitstests. ScienceDirect
f) Therapie‑Faktoren – Erholung statt Mystik
- Studie in Journal of Psychopharmacology: depressive Patienten profitierten eher von Entspannung als von mystischen Erlebnissen. PsyPost – Psychology News
6. Therapeutische Ausbildung & Gruppen-Therapie
- SÄPT‑Ausbildung: 3 Jahre für Ärzt:innen/Psycholog:innen, Kombi aus Theorie, Praxis und Retreats; hohe Nachfrage, begrenzte Kapazität. BioMed Central+1Business Wire+1
- Gruppensitzungen seit 1988 (z. B. Baumann, Oehen): Workshops mit 4–8 Personen über 3 Tage inkl. Musik, Ruhe und Integration
Lage gegenüber Deutschland & international
- Deutschland: erste Pilotstudien (z. B. Charité), aber deutlich restriktiver und langsamer als CH.
- Schweiz: jahrzehntelange Praxis, starke Forschungspartner (Uni Basel, HUG), internationale Firmen (MindMed).
- Schweiz gehört neben USA, Kanada und Australien zu den ersten Ländern mit legaler äußerst klinischer Psychedelikatherapie.
Ausblick bis 2025
- MindMed Phase‑3 für Angststörungen mit LSD (MM120) steht bevor – erwartet 2025 erste Daten. ClinicalTrials+5Wikipedia+5Psychedelic Alpha+5
- Ausbildungskapazitäten für Therapeut:innen müssen massiv ausgebaut werden.
- Weitere Forschung zu Nutzung bei Palliativpatient:innen: z. B. Christopher Boehlke vom Uni-Spital Basel untersucht existentiale Angst bei Sterbenden. The Times
- Langzeitstudien zur Neuroplastizität und Resilienz-Konstruktion laufen.
Kein Zufall, sondern Geschichte mit Haltung
Dass so viele der großen LSD-Therapeut:innen aus der Schweiz kommen, ist kein Zufall. Es ist das Ergebnis einer besonderen Verbindung: zwischen einem Land, einer Substanz und Menschen, die sich nie haben beirren lassen.
In der Schweiz wurde LSD nicht nur erfunden, sondern verstanden – als Werkzeug, nicht als Wunder. Als Spiegel, nicht als Lösung. Und genau deshalb hat es dort überlebt: eingebettet in echte therapeutische Arbeit, wissenschaftliche Neugier und menschliche Demut.
Vielleicht zeigt uns die Schweiz: Der Umgang mit Psychedelika ist weniger eine Frage des Rechts als eine Frage der inneren Haltung.
Zeitleiste: LSD in der Schweiz – Von der Entdeckung bis 2025
1938
🧪 Albert Hofmann synthetisiert erstmals LSD-25 im Labor der Firma Sandoz in Basel.
1943
🚲 Bicycle Day: Hofmann nimmt versehentlich eine kleine Menge LSD ein und erlebt die erste bewusstseinserweiternde Wirkung.
1970er Jahre
⛔ Weltweite Verbote von LSD & anderen Psychedelika. Forschung wird fast überall gestoppt – außer in kleinen Nischen, z. B. in der Schweiz.
1985
🏥 Gründung des Schweizerischen Ärztevereins für Psycholytische Therapie (SÄPT). Ziel: kontrollierte, therapeutische Nutzung von LSD & MDMA – auch in schwierigen Zeiten.
2007
💊 Dr. Peter Oehen führt in der Schweiz eine der ersten modernen MDMA-Therapiestudien durch (bei PTBS).
2008
🧠 Dr. Peter Gasser startet die erste legale LSD-Studie weltweit seit Jahrzehnten – mit Patient:innen in Lebenskrisen (Todesangst, Krebsdiagnose).
2014
📜 Swissmedic ermöglicht Einzelfall-Therapien mit LSD, MDMA & Psilocybin. Die Schweiz wird Vorreiter für psychedelische Medizin in Europa.
2023
🔬 Start der Phase-II-Studie zur Behandlung von generalisierter Angststörung mit LSD (MM120) durch Dr. Liechti & MindMed (Uni Basel).
2024
✅ Das Projekt erhält die begehrte Breakthrough Therapy Designation der FDA – ein bedeutender Schritt für die weltweite Anerkennung.
2025
🚀 Start der Phase-III-Studien mit MM120 (LSD) zur Behandlung von Angststörungen.
Die Schweiz gehört zu den führenden Ländern weltweit bei der klinischen Erforschung von Psychedelika.
Ist LSD mehr natürlich oder mehr chemisch?
LSD ist ein teilsynthetischer Stoff. Es wird aus Ergotamin oder Lysergamiden hergestellt – beide stammen aus der Natur. Ergotamin kommt z. B. im Mutterkornpilz vor, Lysergamide z. B. in bestimmten mexikanischen Samen.
Das Grundgerüst dieser Moleküle ist also natürlich. Durch einen chemischen Prozess wird daraus Lysergsäurediethylamid (LSD).
Dabei gilt:
Chemie ist nichts Unnatürliches – sie steckt in jeder Pflanze, in jedem lebendigen Prozess. Der Unterschied ist nur:
LSD entsteht nicht ohne menschliches Eingreifen. Deshalb wird es als chemisch eingestuft.
Und ja – es gehört zu den stärksten Psychedelika der Welt. Die Molekülstruktur ähnelt körpereigenem Serotonin oder auch Psilocybin. Aber im Gegensatz zu Psilocybin kommt LSD nicht direkt in der Natur vor.
Stark vereinfacht kann man sagen:
LSD basiert auf einem natürlichen Stoff –
wird aber im Labor verändert.
Nicht rein natürlich. Nicht rein künstlich.
Sondern ein natürlich inspirierter Stoff,
der ohne menschliche Chemie nicht existieren würde.
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