Kambo & kulturelle Aneignung

Es gibt einen feinen, aber entscheidenden Unterschied zwischen Inspiration und Aneignung.

Wenn jemand eine uralte Methode für sich entdeckt, sie versteht, ehrt und weiterträgt – wunderbar.
Aber wenn jemand sie nimmt, um sie als eigene „Erfindung“ zu vermarkten – ohne die Wurzeln zu achten, ohne zurückzugeben –
dann ist das nichts weiter als kultureller Raubzug mit Ego-Upgrade.

Was hier eigentlich passiert

Kambo ist keine westliche Erfindung.
Kambo ist Wissen aus dem Regenwald -aus über Generationen weitergegebenen Erfahrungen, eingebettet in Naturbeobachtung, Jagd, Heilkunst und Respekt vor dem Tier.

Und doch sehe ich Menschen, die sich als „Schamane“ inszenieren, ohne je selbst eine Initiation durchlebt zu haben. Ohne je mit der Quelle in Berührung gekommen zu sein, aus der sie nun schöpfen. Menschen, die Rituale anbieten, die nie Teil ihres Lebens waren, die keine Verbindung zu den Ursprüngen haben, aber dennoch mit Begriffen und Symbolen arbeiten, die sie aus anderen Kulturen entliehen haben.

Oft nicht mal aus Böswilligkeit, sondern aus Unwissen. Oder aus Ego.

Eine Simulation von Tiefe. Ein Bild ohne Substanz.

Was mich besonders irritiert, ist die Selbstinszenierung.
Ich frage mich, wie man sich derart feiern kann –
ohne je durch den Dschungel gegangen zu sein.
Ohne je mit den Menschen gesprochen zu haben,
die diese Medizin seit Generationen tragen.
Wie kann man sich selbst als „größter Anbieter“ erklären –
ohne den Ursprung überhaupt verstanden zu haben?

Ethnologin Claudia Müller-Ebeling erklärt sinngemäß,

dass Aneignung an sich nichts Verwerfliches ist – im Gegenteil: Aneignung gehört zum Menschsein.
Wir lernen von Anfang an durch Nachahmung, durch Erfahrung, durch Beziehung zur Welt. Ohne Aneignung könnten wir nicht leben.

Problematisch wird es erst, wenn wir uns etwas aneignen, um uns selbst zu bereichern – ohne zu reflektieren, wem wir dieses Wissen verdanken und ob unser Umgang damit noch etwas mit seinem Ursprung zu tun hat.

Besonders beim sogenannten Neoschamanismus sieht sie diese Grenze überschritten.
Dort werde mit Begriffen und Praktiken gearbeitet, die mit authentischem Schamanismus oft nichts mehr zu tun hätten.
Statt Respekt und Rückbindung an Herkunft und Kontext dominiere dort oft Selbstdarstellung – und eine Entleerung des eigentlichen Wissens.

Es gehe also nicht darum, gar nichts zu übernehmen, sondern vielmehr darum, wie wir etwas übernehmen.
Mit Respekt. Mit Bewusstsein. Mit Dankbarkeit gegenüber den Kulturen, die dieses Wissen hervorgebracht haben.

Und doch erleben wir,

wie in Deutschland bestimmte Ausbildungen wie ein Franchise verkauft werden– samt „eigener Technik„, „letzte Chance“-Marketing und Preisgestaltung, die eher an Business-Coaching klingen als nach indigene Medizin. Es wird behauptet, man habe Dinge „entwickelt“, man sei der „Erste“ gewesen, man habe „die Methode“ erfunden.
Was in Wahrheit passiert:
Man eignet sich etwas an, das längst existiert.
Und verkauft es weiter – oft ohne Kontext, ohne Herkunftsbenennung, ohne echten Bezug zur Quelle. Anstatt Demut und echter Rückverbindung gibt es:
Zoom-Calls, Telegram-Gruppen und ein Zertifikat am Ende.

Manche feiern sich dann als „‚westlicher Schaman*innen“ –
ohne je den Dschungel gespürt zu haben,
ohne je geteilt, gefragt, gelernt, gegeben zu haben.

Warum das problematisch ist

Nicht, weil Wissen nicht geteilt werden darf.
Sondern weil es respektlos wird, wenn man das Wissen anderer nimmt, ohne seine Herkunft sichtbar zu machen.
Wenn man so tut, als hätte man etwas neu erfunden, das in Wahrheit aus jahrtausendealter Praxis stammt.
Und währenddessen…
– keine Verbindung zur Quelle
– keine Gabe an die Ursprungsorte
– kein echtes Eingebundensein
– aber viele große Worte.

Das ist kein Dienst an Medizin. Das ist ein Geschäftsmodell mit spirituellem Etikett. Manches davon wird ganz unverblümt gefeiert.
Große Worte, große Behauptungen, wenig Rückverbindung. Keine Initiation. Kein Geben. Nur Nehmen.
Wer Kambo zu seiner „Marke“ macht,
aber nie gefragt hat, woher es kommt –
hat nichts verstanden.

Man muss nichts perfekt machen.
Aber man muss wissen, woher es kommt.

Wenn wir Wissen aus anderen Kulturen übernehmen,
tragen wir auch Verantwortung mit –
für Herkunft, für Haltung, für die Geschichte dahinter.

Kulturelle Aneignung beginnt nicht mit Federschmuck.
Sondern mit dem Moment, in dem wir etwas nutzen,
ohne zu fragen, wem es gehört.

Es geht nicht darum, alles richtig zu machen.
Aber darum, es nicht falsch zu feiern.

Was es stattdessen bräuchte?
Mehr Demut. Mehr Zuhören. Mehr Rückbindung.
Und den Mut, sich nicht in die Mitte zu stellen – sondern an den Rand.
Denn wer wirklich mit dieser Medizin arbeitet, weiß:
Kambo lehrt nicht Macht. Kambo lehrt eine Begegnung mit etwas, das größer ist als du selbst.

Ich habe selbst im Dschungel gelernt.
Aber ich mache kein großes Aufheben darum.
Weil es nicht darum geht, wo man war –
sondern wie man heute handelt.
Mit wem man teilt.
Wem man zuhört.
Und wem man Raum lässt, zu sprechen.

Ich glaube, wir brauchen eine neue Ehrlichkeit in dieser Szene. Weniger Maskerade. Weniger Ego. Mehr Demut.

Es geht nicht darum, Kambo nur noch „von Indigenen“ anwenden zu lassen. Aber es geht sehr wohl darum, wie wir übernehmen, was wir nicht selbst hervorgebracht haben.

Wer sich in die Mitte einer Tradition stellt, ohne je am Rand gestanden zu haben, verändert nicht nur die Form – sondern zerbricht den Kern. Und wer das merkt, darf nicht schweigen.

Ich war dabei. Und ich schweige nicht mehr.

Aho

Claudia Müller-Ebeling auf YouTube https://youtu.be/PzZjEFbL8S4?si=LfXg6gJimXTNqfZz

Persönliche Worte

Ich habe meine erste Kambo-Ausbildung in Deutschland gemacht.
Damals war ich voller Vertrauen, neugierig, bestimmt auch ein bisschen naiv.
Ich wollte lernen, wollte helfen, wollte weitergeben – und habe geglaubt, was man mir sagte.

Ich habe alles geschluckt, was mir hingeworfen wurde –
ohne zu hinterfragen. Ich habe mir keine Zeit gelassen. Habe nicht gespürt, wie sehr alles um mich herum nur auf Hochglanz, auf Business und auf leere Versprechen gebaut war. Einfach nur weil ich Teil vom etwas Großen sein wollte. Erst später wurde mir klar, es ging dort nie um die Beziehung zur Medizin.
Es ging um Geld. Um Vermarktung. Um Egos. Und das hat wehgetan.
Weil ich lange dachte, ich hätte etwas Echtes gelernt.

Heute weiß ich: Die Medizin beginnt dort, wo das Marketing endet.
Und die echte Lehre kam für mich nicht in Zoom-Calls –
sondern mit der Erde unter den Füßen und dem Dschungel in der Lunge.

Cle
https://kambo-vechta.de

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