Kambo ist kein Gift im klassischen Sinn – aber toxikologisch sehr wohl. Und genau das müssen wir verstehen.
Ganz am Anfang meiner Ausbildung – und auch lange danach – habe ich genau das gesagt, was mir beigebracht wurde: „Kambo ist kein Gift.“ Ich habe es übernommen, weil ich es überall gelesen und immer wieder gehört habe. Es war fast ein Glaubenssatz: Kambo ist Reinigung, nicht Vergiftung. Aber je mehr ich gelernt habe, je tiefer ich in die Praxis gegangen bin, desto mehr hat sich etwas verändert. Ich habe mit Wissenschaftlern gesprochen. Ich habe Studien gelesen. Ich habe die Peptide analysiert, ihre Wirkmechanismen studiert – und irgendwann konnte ich es nicht mehr einfach so sagen. Heute weiß ich: Diese Aussage ist so nicht ganz haltbar. Und was genau dahinter steckt, schreibe ich in diesem Blog.
Gestern habe ich einen Artikel gelesen, der aktuell online kursiert: Eine Frau aus Polen, die in Deutschland an einem Kambo-Ritual teilgenommen hatte, wurde in einem kritischen Zustand ins Krankenhaus eingeliefert. Der Titel: „Poisoned by Amazonian frog venom“. Und das war für mich ein Punkt, an dem ich nochmal sehr klar gespürt habe: Wir brauchen Aufklärung. Ohne Panik, aber mit Wahrheit. Denn nur wenn wir wirklich, wirklich verstehen, was wir da anwenden, können wir auch wirklich verantwortungsvoll begleiten.
Ich erinnere mich genau: Meine ersten Kambo-Beiträge – öffentlich und im Gespräch – drehten sich um diese Aussage: „Kambo ist kein Gift.“ Oder sogar: „Es ist nachweislich kein Gift.“ Ich hatte das überall gelesen. Ich habe es übernommen. Ohne zu hinterfragen. Ohne toxikologischen Hintergrund. Weil es sich richtig angefühlt hat. Weil es alle so gesagt haben.
Aber mit der Zeit – und vor allem mit Verantwortung – kam die Notwendigkeit, es wirklich zu verstehen. Ich habe mich über Jahre intensiv mit Kambo beschäftigt. Mit der Biochemie, mit Studien, mit Fallberichten, mit medizinischer Literatur. Und irgendwann wurde klar: Kambo ist kein Gift im klassischen Sinne – aber toxikologisch ist es sehr wohl relevant. Und was das genau heißt, schreibe ich heute auf. Nicht, um Angst zu machen. Sondern weil Ehrlichkeit dazugehört. Und weil wir nur dann gute Practitioner sein können, wenn wir wirklich, wirklich wissen, was wir tun.
Alltagssprache vs. Toxikologie: Warum Worte irreführen
Wenn Menschen sagen: „Kambo ist kein Gift“, dann meinen sie oft etwas sehr Konkretes:
- Es ist nicht chemisch-synthetisch.
- Es ist kein Nervengift.
- Es ist kein tödliches Kampfmittel.
- Es hat eine heilende Absicht.
Und all das stimmt auf einer Ebene. Aber: In der medizinischen und toxikologischen Sprache ist das nicht korrekt. Denn dort gelten andere Kriterien.
Ein Gift (toxikologisch) ist jede Substanz, die bei einer bestimmten Dosis eine biologische Schädigung im Körper verursachen kann – unabhängig davon, ob sie natürlich ist oder nicht. Entscheidend ist: die Dosis und die Wirkung auf den Organismus.
Toxikologie sagt klar: Alles kann Gift sein – die Dosis macht den Unterschied.
Selbst Wasser ist bei Überdosierung tödlich.Paracelsus hat gesagt: Wenn ihr jedes Gift recht wollt auslegen, was ist, das nicht Gift ist? Alle Dinge sind Gift, und nichts ohne Gift, allein die Dosis macht, daß ein Ding kein Gift ist.
Beispiele:
Wasser → kann in zu großen Mengen tödlich sein
Sauerstoff → in Überdruck (Taucherkrankheit) toxisch
Insulin → lebensrettend oder tödlich, je nach Dosis
Kambo-Peptide → bei zu starker Wirkung potenziell toxisch
Das ist kein Vergleich zur Dramatisierung, sondern eine Erinnerung daran, dass Toxikologie nicht zwischen gut und böse unterscheidet, sondern zwischen wirksam und überdosiert.
Ich will niemandem Angst machen. Im Gegenteil. Ich hoffe, dass dieser Text dabei hilft, mit Kambo sicherer zu arbeiten. Und ich hoffe, dass wir aufhören, uns gegenseitig mit Halbwissen zu beruhigen – und stattdessen anfangen, offen zu sprechen. Denn nur dann wird diese Arbeit das, was sie sein kann: kraftvoll, präzise und verantwortungsvoll.
Was ist Gift im Alltag? Im Sprachgebrauch meint „Gift“ oft:
Etwas bösartiges, gefährliches, das man auf keinen Fall nehmen sollte. Eine Substanz, die einen vergiftet und tötet. Und genau hier passiert der Irrtum in der spirituellen Szene: „Kambo ist kein Gift – es ist Medizin.“ Gemeint ist: Es ist nicht bösartig, nicht chemisch-synthetisch, nicht tödlich gemeint. Aber wissenschaftlich ist das nicht richtig.
Also, ist Kambo jetzt ein Gift?
Alltagssprachlich / emotional / spirituell:
Nein.
Kambo wird nicht als Gift erlebt, sondern als Ritual, Reinigung, Medizin.
Diese Sicht will sich abgrenzen von „Vergiftung“, Tod, Bösartigkeit.
Toxikologisch / pharmakologisch: Ja.
Kambo enthält bioaktive Toxine, die: physiologisch eingreifen und bei falscher Dosis / Anwendung gefährlich wirken können
Die Peptide sind Toxine → also natürliche Gifte. Ihre Wirkung ist dosisabhängig toxisch möglich. Deshalb ist Kambo toxikologisch gesehen: ein potenzielles „Gift“
Denn: toxikologisch wird nicht die Substanz an sich bewertet, sondern ihre Wirkung auf den Körper in Abhängigkeit von der Dosis.
Bespiel Wasser: Bei normaler Zufuhr: Wasser ist lebensnotwendig, reguliert Temperatur, transportiert Nährstoffe, schützt Organe. Keine toxische Wirkung – im Gegenteil, essenziell für Zellfunktion. Bei übermäßiger Zufuhr (z. B. 6–10 Liter in kurzer Zeit):
Kann zu Hyponatriämie führen (= gefährlich niedriger Natriumspiegel im Blut) Osmotisches Ungleichgewicht → Wasser strömt in die Zellen. Besonders im Gehirn: Hirnödem, Krampfanfälle, Koma, Tod. Dieser Zustand ist eine wasserinduzierte Vergiftung
Klassisches Beispiel:
Eine junge Frau starb 2007 bei einem Radio-Gewinnspiel („Hold your Wee for a Wii“) nach dem Trinken von ~7 Litern Wasser in wenigen Stunden.
Diagnose: akute Wasservergiftung → Hirndruck → Tod
Fazit:
Ja, Wasser kann toxisch wirken – wenn es zu viel, zu schnell, ohne Elektrolytausgleich konsumiert wird.
→ Also: toxikologisch betrachtet ist auch Wasser ein potenzielles Gift.
Aber was ist Kambo toxikologisch gesehen?
Kambo ist ein Sekret aus der Haut des Froschs Phyllomedusa bicolor. Es enthält eine Vielzahl von bioaktiven Peptiden – das sind kleine Aminosäureketten, die im menschlichen Körper an Rezeptoren binden und sehr starke physiologische Effekte auslösen. Diese Substanzen wirken unter anderem auf das:
- Herz-Kreislauf-System
- zentrale und vegetative Nervensystem
- Hormonachsen (z. B. ADH, ACTH, Cortisol)
- Nierenfunktion
Einige der wichtigsten Peptide im Überblick:
Peptid | Wirkung |
Phyllocaerulein | starkes Erbrechen, gesteigerte Darmmotilität |
Phyllomedusin | Vasodilatation, Histaminfreisetzung |
Sauvagine | Blutdrucksenkend, ADH-Stimulation, Stresshormonregulation |
Dermorphin | starkes Opioid, >40x potenter als Morphin |
Deltorphin | ähnlich starkes Opioid wie Dermorphin |
Adenoregulin | zytotoxisch in vitro, beeinflusst Zellatmung |
Diese Peptide sind Toxine – also natürliche Gifte, weil sie vom Tier gebildet werden und beim Menschen potenziell toxische Wirkung haben. Das bedeutet nicht, dass Kambo per se tödlich ist. Es bedeutet: Die Wirkung ist stark genug, um den Körper aus dem Gleichgewicht zu bringen – im Positiven wie im Negativen.
Warum ist Kambo toxikologisch relevant?
Weil mehrere dieser Peptide:
- direkt ins ZNS (zentrale Nervensystem) eingreifen
- das Herz-Kreislauf-System beeinflussen
- die Ausschüttung von Hormonen (z. B. ADH, ACTH, Cortisol) modulieren
- die Nierenfunktion, Darmmotilität, Vasodilatation und Schmerzregulation verändern
Diese Wirkungen sind stark – und genau das ist toxikologisch entscheidend.
Toxikologie bewertet nicht nach „böse Substanz“, sondern nach Wirkungen, die potenziell gefährlich werden könnten.
Fazit der toxikologischen Gesamtbewertung
Kambo ist kein akutes Nervengift wie Strychnin oder Botox.
Aber es ist auch kein „nicht-giftiger Reiniger“ – das ist eine spirituelle Narrative, kein toxikologischer Befund.
Kambo ist ein potentes biologisches Wirkstoffgemisch mit systemischer Wirkung und enger therapeutischer Breite.
Was bedeutet das toxikologisch?
Es ist nicht das Gift wie bei einer Schlange, das sofort Organe zersetzt oder Nervenzellen blockiert.
Aber: Die Peptide sind Trigger – sie verändern massiv physiologische Parameter.
Wenn diese nicht reguliert oder überwacht werden, kann es indirekt durch die Gesamtreaktion zu tödlichen Komplikationen kommen.
Die Todesursache ist nicht „das Gift“ im klassischen Sinn,
aber die systemische Wirkung der Peptide + Fehler im Setting → und das ist toxikologisch trotzdem relevant.
Stirbt man an Kambo?
Diese Frage taucht oft auf – vor allem nach medialen Schlagzeilen. Und sie ist berechtigt. Die ehrliche Antwort lautet:
Nein, niemand stirbt am reinen Molekül. Aber Menschen sind an den Folgen der systemischen Wirkung gestorben.
Die meisten dokumentierten Todesfälle nach Kambo hängen zusammen mit:
- Hyponatriämie – Wasservergiftung durch zu viel Flüssigkeitszufuhr
- SIADH – Syndrom inadäquater ADH-Sekretion, oft getriggert durch Sauvagine
- Elektrolytverschiebung, Herzrhythmusstörungen
- Vorerkrankungen, die durch Kambo destabilisiert wurden
Kambo ist nicht direkt tödlich wie Schlangengift, aber es ist ein potentes biologisches Systemgift. Und genau deshalb ist es so wichtig, aufzuhören mit der Formel: „Kambo ist kein Gift.“
Warum die Aussage „Kambo ist kein Gift“ gefährlich ist
Weil sie falsche Sicherheit gibt. Weil sie das System verharmlost.
Diese Aussage ist aus der Szene heraus entstanden, um sich von westlicher Medizin und Pathologisierung zu distanzieren. Emotional nachvollziehbar – fachlich falsch.
Denn: Wer sagt, „Kambo ist kein Gift“, ignoriert, dass es giftig wirken kann – abhängig von:
- Dosis
- Setting
- Vorerkrankungen
- Flüssigkeitsmanagement
- Fachwissen zur Peptidwirkung
Was es manchmal gibt (und was irreführend zitiert wird):
Laboruntersuchungen im Auftrag von Praktiker:innen, bei denen getestet wurde, ob Kambo z. B. neurotoxische Alkaloide wie Strychnin oder Nikotin enthält.
→ Diese sagen dann: „Keine klassischen Gifte nachgewiesen.“
→ Und das wird fälschlich umgedeutet in: „Kambo ist kein Gift.“
Richtig ist:
„Kambo-Frösche benutzen ihr Sekret nicht zum Angriff, sondern nur zur Abwehr.“
Das ist biologisch zutreffend – das Sekret dient dem Frosch als Schutz vor Fressfeinden.
Aber: Das ist irrelevant für die toxikologische Einordnung beim Menschen.
Auch natürliche Abwehrstoffe können im Menschen toxisch wirken – ebenso wie Nervengifte aus Pflanzen, die nicht zum Angriff entwickelt wurden.
Es ändert nichts daran, dass Kambo-Peptide beim Menschen pharmakologisch aktiv und potenziell gefährlich sein könnten.
Oft wird in der Szene zitiert:
„Toxicology reports show that kambo has not been the cause. However incidents are connected to other factors: drinking too much water, mixing substances, protocol violations.”
Das ist Wahr aber leider auch das irreführend – weil es den Kambo Prozess ausklammert, die genau diese Reaktionsketten im Körper in Gang setzen.
Die Aussage ist also nicht falsch im spirituellen Kontext, aber brandgefährlich, wenn sie als medizinisch-faktische Wahrheit verbreitet wird. Sie verhindert Aufklärung. Und manchmal verhindert sie auch Rettung.
Schulmedizinische Parallelen: Wo das Gleiche gilt
Das, was Kambo toxikologisch so besonders macht, ist nicht einzigartig. Viele etablierte Medikamente und Naturstoffe haben die gleiche Problematik:
Substanz | Wirkung (gering) | Wirkung (zu hoch) |
---|---|---|
Digitalis | verbessert Herzleistung | Herzstillstand |
Insulin | senkt Blutzucker | Hypoglykämie, Koma, Tod |
Paracetamol | schmerzstillend | Leberversagen |
Wasser | lebensnotwendig | Hyponatriämie, Hirnödem |
Kambo | reinigend, regulierend | Elektrolytentgleisung, Krampf, Tod |
Fazit: Was wir wirklich sagen sollten
„Kambo enthält potente natürliche Toxine. Diese können, je nach Dosis und Anwendung, starke physiologische Effekte auslösen – bis hin zur Toxizität.“
Und gleichzeitig:
„Kambo ist nicht dämonisch. Es ist ein mächtiges Naturmittel, das mit Respekt, Wissen und medizinischem Grundverständnis behandelt werden muss.“
Diese Parallelen zeigen: Toxizität ist kein Urteil über Gut oder Böse. Sie ist ein wissenschaftliches Maß für die Wirkstärke und das Risiko – und sie betrifft Kambo ebenso wie alles andere, was tief im Körper wirkt.
Ich wünsche mir eine Szene, in der wir nicht aus Abwehr falsche Narrative aufbauen, sondern in Verantwortung stehen – auch toxikologisch.
Denn nur wer das System versteht, kann wirklich sicher begleiten. Und nur wer die Risiken kennt, kann ihre Kraft gezielt nutzen.
Und wer verstanden hat, was ein Gift wirklich ist – muss es nicht mehr fürchten. Aber er darf es auch nicht leugnen.
Ich schreibe diesen Text nicht, um Angst zu machen.
Sondern um zu sensibilisieren.
Für all jene, die mit Kambo arbeiten.
Für all jene, die Verantwortung tragen.
Für all jene, die dieses Feld mit mir teilen.
Ich werde diese Arbeit nicht für immer machen.
Aber es gibt Menschen, die ich aufrichtig liebe –
und vielleicht werden sie irgendwann zu euch kommen.
Vielleicht setzen sie sich in eure Kreise,
vielleicht öffnen sie sich euch mit ihrem Vertrauen,
vielleicht geben sie euch ihren Körper für einen Moment.
Und ich wünsche mir aus tiefstem Herzen,
dass sie dort die sicherste, klarste, bestinformierte Begleitung bekommen,
die möglich ist.
Nicht, weil ihr perfekt sein müsst.
Sondern weil ihr versteht,
wie kraftvoll – und wie komplex – dieses Sekret wirklich ist.
Nicht aus Angst.
Sondern aus Liebe.
Liebe > alles andere
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